Ein Leadership und Innovation Lab der Global Leadership Academy
In Kooperation mit dem Sektorprogramm Gleichberechtigung und Frauenrechte fördern und der Thomson Reuters Foundation
Warum wir einen Dialog über Frauen- und Kinderhandel brauchen
Menschenhandel ist eine der schwersten Menschenrechtsverletzungen unserer Zeit. Zudem gilt er als der am schnellsten wachsende Kriminalitätsbereich weltweit – mit einer hohen Dunkelziffer. Nahezu alle Länder sind als Herkunfts-, Transit- oder Zielländer betroffen. Unter identifizierten Fällen machen Frauen und Mädchen etwa 70 Prozent der Opfer aus, daher kann hier von einer eindeutigen genderspezifischen Betroffenheit gesprochen werden. Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, sind außerdem besonders gefährdet. Angesichts dieser Tatsache ist die Aufmerksamkeit auf das Thema Frauen- und Kinderhandel trotz internationaler Verpflichtungen jedoch noch viel zu gering. In den SDGs 8 (Decent Work and Economic Growth) und 16 (Peace Justice and Strong Institutions) wird ein klarer Bezug zwischen Menschenhandel und nachhaltiger Entwicklung hergestellt. Trotz der internationalen Verpflichtungen und steigender Zahlen in aktuellen Statistiken ist die mediale Aufmerksamkeit und das Bewusstsein der sozioökonomischen Zusammenhänge relativ gering bis hin zur Tabuisierung in einigen kulturellen Kontexten. Daher haben wir einen klaren Auftrag, uns diesem schwierigen und komplexen Thema zu widmen.
Um mehr Aufmerksamkeit, gerade auf Genderspezifika von Menschenhandel und der damit verbundenen Formen und Dynamiken von Gewalt zu erwirken, entwickelte die Global Leadership Academy (GLAC) gemeinsam mit dem Sektorprogramm Gleichberechtigung und Frauenrechte fördern (SP) und der Thomson Reuters Foundation (TRF) das sogenannte Leadership- und Innovation Lab Unveil the Hidden Presence: Trafficking in Women and Children. 2018 begegneten sich die 33 Teilnehmer*innen aus 25 Ländern in einem halbjährigen Dialogprozess, um Strategien und Ansätze zu entwickeln, dem Thema und Betroffenen mehr Gehör zu verschaffen.
Dialogprozess: Just another workshop?
Als Dialogprozess steht das Lab in einer Reihe von vierzehn Leadership- und Innovation- Labs, die die GLAC seit 2012 durchgeführt hat. Der experimentelle Raum, der hier bereitgestellt wird, ermöglicht es, die Vielfalt der Perspektiven und gesellschaftlichen Sektoren im Dialog auf Augenhöhe zu bringen, um herkömmliches „Silodenken“ zu überwinden und innovative Lösungen zu generieren.
Die innovativen Methoden des Labansatzes schaffen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, die über die gemeinsame Arbeit während des Labs hinaus zur Bildung nachhaltiger Netzwerke und Arbeitsgruppen beiträgt.
Das Ziel des Labs Unveil the Hidden Presence: Trafficking in Women and Children war neben Entwicklung neuer Ansätze für mehr Aufmerksamkeit und Medienpräsenz besonders auch die Präventionsarbeit: Wie können Frauen und Mädchen besser erreicht und über die Gefahren illegaler Arbeitsmöglichkeiten im Ausland informiert werden? Das Lab brachte 33 Teilnehmer*innen (17 Frauen, 16 Männer) aus 25 Ursprungs-, Transit- und Zielländern des Menschenhandels in einem Zeitraum von sechs Monaten zusammen, in welchem persönliche Treffen und Gruppenarbeit mit digitalen Austauschformen, Medien- und Leadership-Coachings, Mini-Grants sowie ein Expert*innenaustausch auf der Trust Conference der TRF kombiniert wurden.
Die langjährige Erfahrung der GLAC mit dem Social Lab-Ansatz bot die Grundlage für den Prozess. Das Sektorprogramm Gleichberechtigung und Frauenrechte fördern brachte wichtige thematische Impulse ein. Als Stiftung für unabhängigen Journalismus, Menschenrechte, Frauenförderung und Rechtsstaatlichkeit war die Thomson Reuters Foundation (TRF) schließlich der ideale Partner, um einen Dialog für mehr (mediale) Aufmerksamkeit auf das Thema in Gang zu setzen. Einer der Arbeitsschwerpunkte der TRF liegt im Kampf gegen Menschenhandel und moderne Sklaverei. Zudem verfügt die Stiftung über ein breites Netzwerk und erreicht durch die Anbindung an die Reuters News Agency ein weltweites Publikum. Die Partnerschaft und Bündelung von Ressourcen, Expertise und Netzwerken verschiedener Organisationen oder Einheiten ist ein wesentliches Element der Dialogprozesse, nicht nur um die Ressourcennutzung zu optimieren, vielmehr auch eine sehr gute Basis für die Reichweite der Veränderungsansätze bereitzustellen. Zu diesen Ressourcen, Möglichkeiten der Vernetzung und Multiplikation sollten die Teilnehmer*innen des Labs, die im Alltag oft die Rolle von Einzelkämpfer*innen innerhalb ihres Sektors, ihrer Organisation oder Mediums einnehmen, Zugang erhalten.
Eine Herausforderung war es im Vorfeld die Bedeutung der Diversitätskriterien (Sektor, Profession, Motivation, Demographie, Gender, Alter) der Gruppe für Perspektivwechsel zu verdeutlichen. Ein intensiver Bewerbungs- und Auswahlprozess für alle Teilnehmer*innen stellte eine ausgewogene Mischung zwischen sowohl Männern und Frauen, zwischen Journalist*innen, Aktivist*innen aus der NGO-Szene, Mitarbeiter*innen von internationalen Organisationen, Regierungen und der Wissenschaft sicher. Nähere Details zu den Teilnehmer*innen finden sich im offiziellen Booklet.
Zudem bedarf der Labansatz auch intensiver Haltungsarbeit aller Beteiligten, da er sich grundlegend von herkömmlichen Trainings unterscheidet und darauf baut, Offenheit, Multiperspektivität und Augenhöhe wertzuschätzen und umzusetzen. Die Reibung, welche dadurch entsteht, gilt es daher auch im Team der Labpartner auszuhalten. Bereits zu Beginn des zweiten persönlichen Treffens jedoch, zeigte sich ganz deutlich, dass es sich lohnt: Die Teilnehmer*innen teilten 73 Veränderungsinitiativen, welche sie in den ca. vier Monaten seit dem ersten Labmeeting angestoßen hatten!
Nach Auswahl und Kick-off fand das erste Treffen vom 25. – 28. Juni 2018 in Nairobi und das zweite vom 10. – 13. November in London statt, um den Teilnehmer*innen anschließend die Teilnahme an der 2-tägigen Trust Conference, auf der sie bereits einzelne Projekte vorstellten, zu ermöglichen. Während der Präsenztreffen wurde eine Vielzahl an unterschiedlichen interaktiven und selbst-reflektierende Methoden genutzt wie etwa Journaling, Speed Dating, Peer-Counceling, Kleingruppen und Open Space. Alle Teilnehmer*innen erhielten ein Medientraining und Anleitung für einen Elevator-Pitch durch Journalistinnen der Thomson Reuters Foundation.
Coachings und Webinare wurden zwischen den beiden Lab-Meetings angeboten. So wurden die Teilnehmer*innen bei geplanten Aktivitäten und in ihrer persönlichen und professionellen Weiterentwicklung unterstützt. Darüber hinaus gab es die Möglichkeit, sich für einen sogenannten Mini-Grant zu bewerben zur Unterstützung eines eigenen Projekts.
Wirkung
Die Dialogprozesse der GLAC erzielen Ergebnisse auf verschiedenen Ebenen, diese werden jedoch nicht vorweggenommen: beispielsweise die Verbesserung individueller Einflussmöglichkeiten (über Verbesserung des eigenen „Leadership“ und Medienkompetenzen), institutionelle Hebel über methodische Veränderungen (Bsp. Collective Leadership) stärken oder institutionelle Vernetzung sowie systemische Wirkung wie der Bildung oder Stärkung internationaler Netzwerke und gemeinsamer Initiativen. Nach dem Ende der direkten Intervention durch uns ist ein Lab keineswegs abgeschlossen, sondern existiert weiter in Form einer Community of Practice, sodass sich stetig weitere Wirkungen entfalten.
Auf individueller Ebene profitierten die Labteilnehmer*innen neben den selbstreflexiven Übungen stark von dem ins Lab integrierten Medientraining. Durch ein gesteigertes Bewusstsein für Sprache und die Übermittlung von Informationen wurden sie sowohl persönlich aber auch in ihrem Arbeitsalltag unterstützt, z.B. beim sensiblen Umgang mit Opfern/Überlebenden oder die Veränderungsansätze auch bei anderen relevanten Partnern in den jeweiligen lokalen Kontexten zu vermarkten. So berichteten einige Teilnehmer*innen, dass sie die erlernten Methoden teilweise in ihren Organisationen einsetzen würden.
Wie durch den Dialog konkret Silos durchbrochen, völlig neuartige Netzwerke geschaffen und Vorurteile abgebaut werden, zeigt die Feststellung einer Regierungsmitarbeiterin „Medien sind ja doch keine Feinde“. Ihrer Meinung nach wurde gerade auf Regierungsebene die Integration der Zivilgesellschaft und der Medien verpasst, doch durch die Erfahrung im Lab konnte sie in ihrer Organisation erreichen, dass die Zivilgesellschaft und die Medien in Fragen im Zusammenhang mit Migration und Bekämpfung des Menschenhandels, Identifizierung und Schutz der Opfer usw. nun integriert werden. So konnte das Lab wichtige Brücken zwischen Akteuren wie etwa Regierung und Medien bauen, die sich nun gemeinsam und bestärkt dem Kampf gegen den Menschenhandel, insbesondere von Frauen und Kindern widmen.
Wie eingangs erwähnt konnten im Nachklang des ersten Treffens bereits Wirkungen auf institutioneller und systemischen Ebenen durch mannigfaltige Initiativen erreicht werden. So wurde in Kenia ein runder Tisch auf politischer Ebene zum Thema angeregt und die Überarbeitung des National Plans of Actions Against Trafficking unterstützt. Im Anschluss an das Lab hat ein Journalist aus Uganda eine Artikelreihe zum Thema Menschenhandel in Uganda publiziert. Durch diese Kampagne konnten eine Gruppe von verschleppten Mädchen identifiziert und schließlich von der Polizei gerettet werden.
Exemplarisch einige weitere Initiativen:
Afrikanische Union
Workshops zum Thema;
Austausch mit den Botschafter*innen der AU zu möglichem Einfluss der Diaspora auf die
Wahrnehmung des Themas Menschenhandel
Äthiopien
Austausch mit dem Arbeitsministerium zur Etablierung eines Ausbildungszentrums für
jugendliche Opfer,
Produktion eines TV-Spots zum Thema Kinderhandel
Burundi und Kamerun
Radio TIP Sensibilisierungskampagne – Ziel ist es, reale Geschichten von Überlebenden zu
erzählen und das Bewusstsein, insbesondere unter jungen Mädchen, über das Radio zu
wecken. Es werden Handbücher entwickelt, die Journalist*innen dabei unterstützen,
sensibel über dieses Thema zu berichten.
Südafrika/Global
Erstellung einer globalen interaktiven Online-Karte mit Informationen zum Thema,
Geschichten und Hintergründen von Überlebenden und Hinweisen zu Organisationen etc.
https://medium.com/traffickingafrica/explore-the-map-8e14474b80ad
Uganda
Etablierung einer Hotline in Uganda, um potenzielle Opfer von Menschenhandel über die
Gefahren illegaler Arbeitsmöglichkeiten im Ausland zu informieren
Ukraine
Durchführung von Foto-Workshops für Jugendliche zum Thema TIP
Über eine geschlossene WhatsApp-Gruppe tauschen sich die TN weiterhin aktiv aus und teilen
Hinweise zu neuen Dokumenten, Zeitungsartikeln, Veranstaltungen, Projekten etc. Sie unterstützen
sich gegenseitig, wenn es z.B. darum geht, Frauenhandelsopfern, die bekannt werden, zu helfen. In
einer Evaluierung durch die New York University nach sechs Monaten nach Interventionsende
bestätigten sie, dass sich durch die Teilnahme an dem Lab ihre Zusammenarbeit mit den Medien und
ihre Networking- und Kommunikationsfähigkeiten wesentlich verbessert haben, sie neue oder
innovative Ideen zur Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels generiert haben und durch die
Vernetzung mit den anderen Teilnehmer*innen wichtige Kontakte aufbauen konnten, um
Veränderungen voranzutreiben.
Neben den thematischen Resultaten, die oben aufgeführt sind, berichteten zahlreiche
Teilnehmer*innen im Gespräch auch über ihr persönliches und professionelles Wachstum, wie
gestiegenes Selbstbewusstsein, mehr Souveränität bei öffentlichen Auftritten, höhere
Kompetenzunterstellung bei Vorgesetzten und Kolleg*innen. So ist es einer Teilnehmerin aus
Kamerun gelungen, ihren Arbeitgeber von der Bedeutung des Themas zu überzeugen. Sie hat im
Zuge dessen einen größeren Sendeslot für eine regelmäßige Berichterstattung über die Facetten von
Menschenhandel im Radio erhalten.